Gast-Herausgeber*Innen: Nora Lohmeyer, Jörg Sydow
Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nicht selten über Ländergrenzen hinweg erstrecken, sind in der Regel durch komplexe Arbeitsbeziehungen gekennzeichnet. Ein Teil dieser Komplexität ist der geographischen Streuung von Wertschöpfung und der damit einhergehenden Vielfalt institutioneller Kontexte, inklusive rechtlicher und kultureller Unterschiede, geschuldet. Zudem tragen auch die für Netzwerke typische Desintegration von Arbeitnehmer*Innen und multiple Arbeitgeber*Innen sowie plurale Governance-Strukturen zu dieser Komplexität bei. Diese Bedingungen stellen die Interessenvertretung in und außerhalb von Betrieben und Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Ausgehend von einem weiten Verständnis von Interessenvertretung, das neben den Interessen der Arbeitenden heutzutage auch jene anderer gesellschaftlicher Gruppen mehr oder weniger mit einschließt, stellen sich der Forschung und Praxis der industriellen Beziehungen u. a. folgende Fragen:
- Wie lässt sich Interessenvertretung in (globalen) Wertschöpfungsnetzwerken angesichts dieser spezifischen Bedingungen organisieren? Vor welchen Herausforderungen steht sie angesichts geographisch verzweigter Produktionsstandorte und komplexer Arbeitgeber*Innen-Arbeitnehmer*Innen-Beziehungen? Führen etwa non-territoriale Arbeitsplätze zu einem Verlust von Gesprächs- und gemeinsamen Erfahrungsräumen in den Belegschaften und gibt es Ansätze für neue (auch virtuelle) Räume der kollektiven Verständigung? Und welche Möglichkeiten der Interessenvertretung bestehen angesichts gravierender und eher zunehmender Machtunterschiede zwischen den Akteuren und angesichts der häufig schwach ausgeprägten gewerkschaftlichen Strukturen, gerade im sogenannten „globalen Süden“?
- Welche (Kollektiv-)Akteure spielen neben den traditionellen Partnern – gerade in globalen Wertschöpfungsnetzwerken – eine Rolle? Welche Kooperationsformen und Konflikte ergeben sich aus neuartigen Akteurskonstellationen? Mithilfe welcher Praktiken lassen sich Kooperation zum Beispiel zwischen Gewerkschaften und auf nicht nur Arbeitsbeziehungen sondern auch Konsumverhalten gerichteten NGOs gestalten?
- Welche Möglichkeiten bieten sich angesichts der genannten erschwerten Bedingungen sowie der Durchsetzung globaler neoliberaler Ideologien – die Standortwettbewerb, Individualität und Selbstorganisation betonen – für die Entwicklung neuartiger Formen der Interessenvertretung, wie z. B. Worker Participation Committees? Und wie verhalten sich diese zu traditionellen Formen der Interessenvertretung?
- Wie lassen sich aktuelle Politik- und Governance-Ansätze (transnationaler) industrieller Beziehungen wie etwa „global framework agreements“ (GFAs) und „multifirm transnational industrial relations agreements“ (TIRAs) bewerten; welcher neuen Ansätze bedarf es und wie verhalten sie sich zu strategischen Ansätzen unternehmerischer Nachhaltigkeit und Verantwortung (CSR)?
Erwünscht sind folglich sowohl Beiträge, die sich empirisch mit den strukturellen Voraussetzungen, Grundlagen und Hemmnissen für Interessenvertretung in (globalen) Wertschöpfungsnetzwerken befassen, wie auch solche, die Praktiken der Interessenvertretung in den Blick nehmen und „promising practices“-Beispiele aufzeigen. Auch Beiträge, die die Interessenvertretung in (globalen) Wertschöpfungsnetzwerken aus theoretischer Perspektive betrachten und Vorschläge zur Weiterentwicklung entsprechender Forschungsmethoden ausarbeiten, sind sehr willkommen.
Die Einreichungsfrist endet am 15.04.2020.