Erfolgskulturen der Gegenwart
Neue Perspektiven auf das Verhältnis von Leistung, Anerkennung und Erfolg in exemplarischen Dis-kurs- und Bewährungsfeldern
Tagung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) am 23./24. Februar 2012
Keynotes:
Sighard Neckel (Goethe-Universität Frankfurt am Main)
Gabriele Wagner (Leibniz Universität Hannover) und Stephan Voswinkel (Institut für Sozialforschung Frankfurt)
Dass ein Ratgeberbuch Erfolg verspricht, liegt im Wesen dieses Genres und ist an sich nichts Neues: Ein frühes Beispiel finden wir in dem 1928 von Napoleon Hill veröffentlichten Kompendium mit dem Titel „The Law of Success“, aus dem rund zehn Jahre später der über 60 Millionen Mal verkaufte Bestseller „Think and Grow Rich“ (1937) hervorgehen sollte. Was indes mit Blick auf zeitgenössische Publikationen dieser Art auffällt, ist die schiere Bandbreite an berufs- und lebensweltlichen Bezügen. So richten sich Ratgeber neueren Datums mit ihren Erfolgsverheißungen gleichermaßen an Studenten und Doktorandinnen („Schnell und erfolgreich studieren“, „Erfolgreich promovieren“) wie an Berufsmenschen („Meine Arztpraxis – erfolgreich im neuen Gesundheitsmarkt“, „Souverän, selbstbewusst und erfolgreich Lehrer sein“), und dabei insbesondere an Frauen („Das Arroganz-Prinzip. So haben Frauen mehr Erfolg im Beruf“). Aber auch Personen oder Gruppen, die einem Hobby frönen („Erfolgreich gärtnern durch Mischkultur“, „Grundregeln erfolgreichen Kochens“, „Erfolgreich Proben – so erreicht jede Band ihr Ziel“) sowie Individuen, die mit der Ein- oder Zweisamkeit hadern („Erfolgreich flirten“, „Erfolgreich lieben“), werden adressiert.
Diese jüngst zu beobachtende Hochkonjunktur – und Ausdifferenzierung – von Erfolgsratgebern hat ein doppeltes Gesicht: Zum einen zeugt sie davon, dass einstige Gewissheiten ihren Status (vermeintlich) fragloser Gültigkeit eingebüsst haben. Zum anderen ist sie als Ausdruck einer das Feld des Marktes transzendierenden „Pflicht zum Erfolg“ zu sehen, wie Sighard Neckel sie als eine – wenn nicht die – Leitorientierung in der Gegenwartsgesellschaft identifiziert hat. Die Erosion einstiger Gewissheiten (und sei es die, dass persönliche Anerkennung oder berufliche Bewährung auf dem Erbringen einer „Leistung“ beruht, die eine „Gegenleistung“ zeitigen wird, ohne notwendigerweise „erfolgreich“ sein zu müssen) geht – so gesehen – mit dem Siegeszug einer „Erfolgskultur“ einher, die zunehmend alle Lebensbereiche und Berufsfelder durchdringt.
Doch ist es wirklich sinnvoll, hierbei von einer Erfolgskultur zu sprechen? Inwieweit haben wir es – eingedenk der historisch-sozialen und strukturellen Besonderheiten je spezifischer Diskurse, Handlungskontexte und Institutionen – nicht vielmehr mit unterscheidbaren, immer auch ein stückweit eigenlogischen und zu-weilen widersprüchlichen Erfolgskulturen zu tun? Davon ausgehend, dass die „Pflicht zum Erfolg“ – ja der Erfolgsbegriff selbst – aufgrund der relativen Autonomie sozialer Felder (sowie der differenten Sozialprofile und Deutungsaffinitäten der in diesen sich bewegenden Akteurinnen und Akteure) verschieden aufgefasst werden und inhaltlich unterschiedlich gefüllt sein kann, hebt die geplante Tagung darauf ab, die These von der „Erfolgskultur“ der Gegenwart aus soziologischem, geschichts- und kulturwissenschaftlichem Blickwinkel kritisch zu beleuchten und in differenzierender Absicht zu diskutieren. Erörterungen zu spezifischen Ver- oder auch Entkoppelungen von Leistung, Anerkennung und Erfolg mit Blick auf die Problematik der beruflichen Bewährung sind dabei ebenso willkommen wie solche, die sich mit der „Pflicht zum Erfolg“ in außer-beruflichen Bereichen der Lebensführung befassen. Insbesondere begrüßen wir Perspektivierungen auf die vergeschlechtliche Dimension von Erfolgskulturen. Ziel der Tagung ist es, ein möglichst kontrastreiches Bild unterschiedlicher Formen der Kultivierung von „Erfolg“ zu zeichnen und tiefere Einsichten in die je spezifi-schen (neuen) Handlungsprobleme und Bewältigungsstrategien zu gewinnen, die mit diesen einhergehen. Im Sinne einer möglichen Blockbildung erhoffen wir uns theoretische und empirische Beiträge, die mit Fragen der gesellschaftlichen Konstruktion und (Re)Produktion von „Erfolg“ auf der diskursiven, institutionellen und/oder individuellen Ebene befasst sind:
I.
Auf der Ebene von kulturellen Deutungsmustern und Logiken der diskursiven Herstellung und Verhandlung denken wir – beispielsweise – an wissenssoziologisch und begriffsgeschichtlich angelegte Beiträge, die sich der Frage nach Entstehungskontexten, epochalen Modifikationen oder feldspezifischen Eigenheiten von Leistungs-, Anerkennungs- und Erfolgssemantiken widmen. In welcher historischen Konstellation hat sich das Deutungsmuster „Erfolg“ vom Leistungsbegriff entkoppelt und verselbständigt? Wann und wo hat sich welcherart Erfolgskonzeption diskursiv verfestigt? Und inwieweit lassen sich – mit Blick auf bestimmte Handlungsfelder – auch konkurrierende, widersprüchliche Erfolgsdiskurse ausmachen? Von der Beantwortung dieser Fragen versprechen wir uns ein besseres Verständnis der Wirkmächtigkeit und Reichweite (dis-kurs-)feldspezifischer Erfolgsmythen.
II.
Eine zweite Ebene sehen wir in der Erörterung organisations- und institutionsspezifischer Techniken der Etablierung von Erfolgsnormen. Hier geht es im weitesten Sinne um Kulturen der Erfolgszurechnung, wie wir sie idealtypisch in der Wirtschaft (mit ihren zahlreichen Erfolgsindikatoren), zusehends aber auch in an-deren gesellschaftlichen Subfeldern und Institutionen wie der Wissenschaft, der Kultur- und Kunstproduktion (etc.) vorfinden. Welcherlei Methoden und Mechanismen der Erfolgsmessung und der Sichtbarmachung von Erfolg lassen sich unterscheiden? Wer setzt die Maßstäbe des Erfolgs und an welche konkreten Leistungsverständnisse sind diese ihrerseits – wenn überhaupt – gekoppelt? Inwiefern hat „Erfolg“ im Kranken-haus zum Beispiel eine andere Bedeutung als in einer Bank? Auch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Grad der Institutionalisiertheit und der Stabilität – respektive der Labilität – von „Erfolgskulturen“: Wie garantiert kann ein Erfolg in einem bestimmten institutionellen Umfeld überhaupt sein – und was wird in verschiedenen Organisationen unternommen, um Erfolge sicherzustellen? Davon ausgehend, dass Wertesysteme ein gewisses Beharrungsvermögen aufweisen (man denke hierbei insbesondere an Felder, die sich ursprünglich gegen das Primat des Ökonomischen herausgebildet haben), stellt sich hierbei nicht zuletzt auch die Frage nach Formen der Widerspenstigkeit gegenüber der „Pflicht zum Erfolg“: Inwieweit lassen sich Organisationskulturen oder institutionelle Settings ausmachen, für die eine Erfolgsaversion kenn-zeichnend ist?
III.
Eine dritte Ebene schließlich betrifft Fragen nach unterschiedlichen Modi der individuellen Aneignung und Reproduktion (oder Verwerfung) der „Pflicht zum Erfolg“. Hier erhoffen wir uns biographieanalytisch oder fallrekonstruktiv angelegte Beiträge, die sich mit dem Verhältnis von Leistung, Anerkennung und Erfolg aus einer akteurszentrierten Perspektive auseinandersetzen. Was macht „Erfolgsmenschen“ – soziologisch besehen – eigentlich aus? Bei welchen (historisch und sozial wie zu charakterisierenden) Akteurinnen und Akteuren kann etwa von einem besonders ausgeprägten „Erfolgsstreben“ die Rede sein – und inwieweit gibt es hierbei geschlechts-, milieu- oder generationsspezifische Unterschiede oder Gemeinsamkeiten? Eine besondere Herausforderung sehen wir in der mikrosoziologischen Erörterung des spannungsvollen Verhältnisses zwischen individueller (beruflicher) Bewährung und Sinnstiftung einerseits und der um sich greifenden „Pflicht zum Erfolg“ andererseits.
Die Tagung wird im Rahmen des Forschungsprojekts „Exzellenz und Geschlecht in Führungspositionen der Wissenschaft und Wirtschaft“ veranstaltet und findet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung statt. Verantwortlich: Hildegard Matthies und Denis Hänzi, Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik.
Abstracts von max. einer Seite werden bis zum 15. Oktober 2011 erbeten an.