Kinderarmut lässt sich als ein Geflecht verschiedener Benachteiligungen begreifen: Kinder, die in Armut aufwachsen, sind in ihrer physischen und psychischen Gesundheit gefährdet, schneiden im Bereich der Bildung oft schlecht ab und erfahren Ausgrenzung. Kinderarmut beeinträchtigt nicht nur das aktuelle Wohlergehen der Kinder, sondern wirkt sich auch auf ihre Zukunft aus, wobei umstritten ist, ob und wie sich diese Nachteile im weiteren Lebenslauf ausgleichen lassen. Kinderarmut trägt in jedem Fall wesentlich dazu bei, dass Chancen in unseren Gesellschaften höchst ungleich verteilt sind und stellt folglich auch ein wesentliches Gerechtigkeitsproblem dar. Denn wenn schon so früh im Leben durch kontingente und beeinflussbare Faktoren in großem Maße entschieden wird, welche Möglichkeiten einem Menschen offenstehen, ist es um zentrale Werte wie Gleichheit, Fairness und Gerechtigkeit nicht gut bestellt. Zweifelsfrei ist es eine politische Aufgabe, hier gegenzusteuern und für angemessene Rahmenbedingungen zu sorgen, damit jedes Kind faire Entwicklungschancen hat. Dass Handlungsbedarf besteht, ist klar, zumal aktuelle Zahlen und Entwicklungen zeigen, dass die meisten Gesellschaften weit davon entfernt sind, das Phänomen der Kinderarmut in den Griff zu bekommen.
Vor diesem Hintergrund soll in einer Schwerpunktausgabe der Zeitschrift „Momentum Quarterly“ Kinderarmut vor allem im Hinblick auf Möglichkeiten der politischen Gegensteuerung betrachtet werden. Im Zentrum sollen der deutschsprachige Raum und die spezifischen Probleme und Herausforderungen stehen, die sich in diesem Kontext aktuell stellen. Es geht darum, den größeren gesellschaftlichen Kontext zu hinterfragen, in dem Kinderarmut und die jeweiligen Umgangsweisen mit ihr entstehen und sich verfestigen, die verschiedenen Diskurse zum Thema Kinderarmut sowie deren Wirkungen zur Sprache zu bringen, Vorschläge aufzuzeigen, wie Kinderarmut nachhaltig gelindert werden kann und konkrete politische Strategien, Projekte und Maßnahmen zur Linderung von Kinderarmut zu analysieren. Die Verbindung von Wissenschaft und Politik ist dabei in einem zweifachen Sinn relevant. Einerseits soll gefragt werden, inwiefern Politik in ihrem Handeln tatsächlich wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung trägt. Andererseits ist zu untersuchen, welche Handlungsempfehlungen oder Forderungen an die Politik aus dem gegenwärtigen Stand der Forschung abgeleitet werden können.
Die HerausgeberInnen begrüßen Beiträge insbesondere aus soziologischer, sozialpädagogischer, psychologischer, sozialarbeitswissenschaftlicher, philosophischer, politik-, bildungs- und wirtschaftswissenschaftlicher sowie ungleichheits- und diversitybezogener Perspektive etwa zu im Folgenden angeführten Fragestellungen. Die Verbindung zu normativen Theorien ist ausdrücklich erwünscht, aber keine zwingende Voraussetzung:
- Wie lässt sich der Diskurs über Kinderarmut im deutschsprachigen Raum charakterisieren und welche Auswirkungen hat er auf die Politik zur Bekämpfung der Kinderarmut?
- Wie umfassend berücksichtigt der politische Diskurs aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere hinsichtlich der dabei unterstellten Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge?
- Welche normativen Theorien und Theoreme werden zur Beurteilung und Konzeptionalisierung von Kinderarmut herangezogen und welchen Einfluss haben sie auf die Messung und Bekämpfung von Kinderarmut?
- Was kann Kinder in Armut vor deren negativen Auswirkungen schützen und wie kann ihre Resilienz gestärkt werden?
- Welche „Erfolgskriterien“ und Maßstäbe für die Bekämpfung von Kinderarmut sollten sinnvollerweise angelegt und zur Evaluation herangezogen werden?
- Wie können die unterschiedlichen Politikbereiche (Soziales, Gesundheit, Familie…), die mit Kinderarmut konfrontiert sind, effizient(er) zusammenwirken und der Multidimensionalität des Problems gerecht werden?
- Welche möglichen ‚Kollateralschäden‘ sollten bei der Bekämpfung von Kinderarmut nicht außer Acht gelassen werden?
- Welche regionalen Unterschiede lassen sich hinsichtlich Kinderarmut und ihrer Bekämpfung im deutschsprachigen Raum feststellen?
- Welchen Akteuren kommt die Verantwortung zu, gegen Kinderarmut tätig zu werden und welche Rolle sollten die betroffenen Kinder in diesem Prozess haben?
- Gibt es geschlechtsspezifische und Herkunft bezogene Unterschiede in der Kinderarmut und welche Auswirkungen haben diese?
Organisatorische Rahmenbedingungen und zeitlicher Ablauf
Bis 30. September 2015: Einreichung von Beiträgen zum Special Issue „Kinderarmut und Gerechtigkeit“ an editors@momentum-quarterly.org.
Bei der Gestaltung einzureichender Beiträge sind die Manuskriptanforderungen von Momentum Quarterly zu berücksichtigen (siehe: http://momentum-quarterly.org/).
Bis 31. Oktober 2015: Vorauswahl der Beiträge durch die GastherausgeberInnen und Rückmeldung an die AutorInnen. Die ausgewählten Beiträge werden in Folge einem anonymisierten Begutachtungsprozess unterzogen.
Bis 31. Jänner 2016: Rückmeldung durch GutachterInnen und Retournierung der Beiträge an die AutorInnen zu weiteren Bearbeitung.
Bis 30. April 2016: Einsendung der überarbeiteten Beiträge
30. Juni 2016: Publikation des Special Issue in Momentum Quarterly
GastherausgeberInnen:
Bernhard Babic
Schwerpunkt Sozialpädagogik, Beratung und Intervention, Universität Salzburg
Gunter Graf
Zentrum für Ethik und Armutsforschung, Universität Salzburg
Ortrud Leßmann
Institut für Personal und Arbeit, Helmut Schmidt Universität Hamburg
Gottfried Schweiger
Zentrum für Ethik und Armutsforschung, Universität Salzburg