In der „Rush Hour“ des Lebens pendeln berufstätige Eltern täglich zwischen den Bereichen Familie und Arbeit. Ob die Balance der beiden Aufgabenfelder gelingt oder zur Doppelbelastung wird, hängt zum Großteil davon ab, wie ressourcen- oder stressreich sie wahrgenommen werden. Das Teilprojekt „Zeitkonflikte und Gesundheit“, das von der Medical School Hamburg im Rahmen des BMBF geförderten Projektes Lebenszeit 4.0 durchgeführt wird, hat sich dabei unter Leitung von Prof. Jan Dettmers einem Aspekt gewidmet, der bisher kaum Beachtung fand: Der Einfluss morgendlicher Erlebnisse in der Familie und auf dem Anfahrtsweg. Im Gegensatz zu kinderlosen Arbeitnehmern sind berufstätige Eltern vor Ankunft am Arbeitsplatz mit der täglichen Kinderbetreuung konfrontiert. Diese kann sowohl Zeitstress auslösen, aber auch positive Erlebnisse beinhalten. Fördert das morgendliche Familienleben Ressourcen wie etwa eine positive Stimmung, ist man auch auf Arbeit entspannter und kann den anstehenden Aufgaben konzentrierter nachgehen (Conservation of Resources Theory; Hobfoll 1989, 2002). Morgendliche Stressoren bewirken das Gegenteil: Um sie zu kompensieren, müssen Ressourcen eingesetzt werden, die dann zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben fehlen.
Um diese Annahmen zu testen, wurde im Rahmen des Lebenszeit 4.0-Projektes eine Tagebuchstudie in Hamburg durchgeführt. Insgesamt haben rund 120 arbeitende Eltern über fünf Tage hinweg je viermal täglich einen Fragebogen ausgefüllt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Erschöpfung zwischen dem Aufwachen und der Ankunft auf Arbeit an Tagen, die besonders viele Stressoren am Morgen bereithalten, deutlich höher ist als an weniger stressreichen Tagen. Die Stressoren wirken sich zudem negativ auf die Stimmung aus. Viele Ressourcen in der Familie und auf dem Anfahrtsweg hingegen führen dazu, dass sich die Stimmung bei Ankunft auf Arbeit besser ist als an Tagen, an denen weniger Ressourcen erlebt werden. Die Studie wies außerdem nach, dass sowohl die Stimmung als auch der Grad an Erschöpfung bei Ankunft am Arbeitsplatz die Arbeitsleistung beeinflussen. Startet der Arbeitnehmer gelassen und erfrischt in den Arbeitstag, erbringt er auch bessere Arbeitsleistung.
Um typische belastende und unterstützende Aspekte im morgendlichen Alltag arbeitender Eltern noch detaillierter zu identifizieren, hat die MSH im Frühjahr 2017 zwölf leitfadengestützte Interviews mit berufstätigen Eltern in Flensburg und Hamburg geführt. Die Teilnehmer schilderten eine Vielzahl von Belastungen, die Zeitdruck und Ärger auslösen. Auf der anderen Seite wurde deutlich, dass Eltern über einen Pool an Bewältigungsstrategien verfügen, um Stress abzumildern. Die qualitative Auswertung der Interviews zeigte, dass sowohl unmittelbare Ereignisse im Familienumfeld als auch kommunale und betriebliche Rahmenbedingungen als Stressoren oder Ressourcen wahrgenommen werden. So sind typische Stressoren während der morgendlichen Kinderbetreuung unter anderem emotional belastende Situationen, Trödeln oder Bockig sein des Kindes oder das Abweichen von der Routine. Als hilfreich wird z.B. eine fröhliche Laune und ein gutes „Mitmachen“ der Kinder oder eine gute Vorab-Planung wahrgenommen. Regionale Faktoren, die bereits am Morgen Stress auslösen, sind zum Beispiel unpünktliche oder sehr volle öffentliche Verkehrsmittel oder ein langer Anfahrtsweg zur Arbeit und/oder Betreuungseinrichtung des Kindes. Hingegen mildern kurze Anfahrtswege und flexible Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtung den morgendlichen Zeitdruck ab. Ebenso wird ein flexibler Arbeitszeitbeginn als betrieblicher Faktor als stressmildernd empfunden. Die Ergebnisse dienen als Grundlage zur Erstellung von Trainingselemente, die Stressoren am Morgen durch individuelle Maßnahmen (z.B. Zeitmanagement) abmildern und gleichzeitig helfen sollen, Ressourcen aufzubauen.